III

„Ich bin kein Ketzer. Ich bin mein Leben lang dem Glauben treu geblieben.“ Reyther kämpfte darum, seine Stimme ruhig klingen zu lassen. Drei teilnahmslose Gesichter starrten ihn an. Er konnte nicht sagen, ob sie ihm glaubten oder nicht. „Ich bin nur ein einfacher Diener, der hofft, nach den Worten des weisen Propheten Akarat zu leben. Ich bin sicher, dass ich ab und zu ins Straucheln gekommen bin, aber ich —“

Der kleinste der Paladine, ein dünner Mann mit schütterem Haar und verkniffenem Gesicht, unterbrach ihn. „Und genau das ist unser Anliegen. Ihr scheint ins Straucheln gekommen zu sein“, sagte er und stieß den Gastwirt zurück. „Ihr habt einer Feindin des Glaubens wissentlich Obdach gewährt, und einer der Gerechten ist bei dem Versuch gestorben, das zu richten. Einer unserer Brüder.“

„Nein, nein!“ Reyther keuchte, als der Paladin ihn gegen die Wand stieß. Die hölzernen Leisten knarzten beim Aufprall. „Als Euer Bruder um Hilfe bat, habe ich sie ihm gewährt. Ohne zu zögern!“

„Da Amphi tot ist, haben wir nur Euer Wort, was das angeht“, sagte der zweite Paladin. „Aber wir wissen mit Sicherheit, dass die Ketzerin von allen Gebäuden in diesem von Akarat verlassenen Außenposten ausgerechnet Eures als Rastplatz gewählt hat.“

„Ich kann nicht ins Herz der Menschen sehen, die über meine Schwelle treten“, flehte Reyther. Der erste Paladin drückte seine Schulter. Hart. Reyther kreischte vor Schmerzen. „Ich habe nichts verheimlicht! Ich habe Euch alles über sie gesagt, woran ich mich erinnern kann, und sie ist seit Jahren nicht zurückgekehrt!“

Der dritte Paladin brach sein Schweigen. „Er hat uns ihren Namen genannt“, sagte er. „Anajinn. Das ist mehr als wir vorher wussten.“

Der erste Paladin schüttelte den Kopf. „Ich glaube, er verschweigt uns etwas.“ Er hielt Reyther weiter mit einer Hand gegen die Wand gedrückt und hob die andere vor das Gesicht des Gastwirts. Ein funkelndes Licht tanzte zwischen seinen Fingern. „Ich möchte, dass er versteht, wie ernst ich es meine.“ Reyther versuchte vergeblich, sich seinem Griff zu entwinden. Funken sprangen von der Faust des Paladins. Einer landete auf Reythers Nase, und er schrie, als Schmerzen seinen Schädel durchfuhren.

„Das reicht, Cennis“, sagte der dritte Paladin. „Wenn die Berichte stimmen, wenn der Kreuzritter in dieser Gegend ist, werden wir sie finden. Sie kann sich nicht für immer in der Wüste verstecken, ohne diese Oase aufzusuchen. Es ist nicht nötig, diesen armen Narren weiter zu quälen.“

Keine Widerworte. Ich habe hier das Sagen.“ Der erste Paladin schob seine Hand langsam näher an Reythers Gesicht.

Der zweite Paladin packte den Arm des ersten mit festem Griff. „Genug.“ Die beiden starrten einander einen Moment lang an. Reyther, der sich die Tränen aus den Augen blinzelte, befürchtete, dass sie aufeinander losgehen würden. Diese Vorstellung war weitaus weniger beängstigend als der Gedanke daran, dass beide auf ihn losgehen könnten.

„Schön“, sagte der erste Paladin und ließ von Reyther ab. Der Gastwirt fiel auf die Knie, griff sich an seine linke Schulter und keuchte. Rotz tropfte ihm von der Nase auf den Boden. „Vielleicht habt Ihr recht. Die Nachrichten aus Travincal, aus den Tempeln ... vielleicht bin ich vorschnell, aber ich werde mich nicht entschuldigen.“

„Das müsst Ihr nicht“, sagte der zweite Paladin. „Er hat ihr Obdach gewährt, wie unwissentlich auch immer. Ich gehe davon aus, dass er diesen Fehler nicht noch einmal machen wird.“

Reyther schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein, niemals.“

„Gut“, sagte der erste Paladin. „Und wenn Ihr je wieder auch nur einen Blick auf diese widerwärtige Kreatur werft, teilt es uns ohne Zögern mit.“ Er beugte sich nach unten und presste seine Nase an die des Gastwirts. „Habt Ihr verstanden?“

„Ja. Ja!“

Alle drei Paladine wandten sich geschlossen um und verließen das Gasthaus. Im Schankraum waren keine Gäste. Reyther war mit seinem Keuchen und Schluchzen allein.

Eine zögerliche Stimme sprach. „Geht es dir gut, Vater?“

Reyther schniefte ein letztes Mal, wischte sich die Augen und wandte sich um zu seiner Tochter, Lilsa. „Natürlich. Alles in Ordnung. Nur etwas Sand in den Augen. Lässt mich manchmal wie ein Narr aussehen.“ Er stand auf und zwang sich zu einem Lächeln. Sie war kaum vier Jahre alt, schien jedoch oft klüger zu sein als viele Kinder, die doppelt so alt waren. „Diese netten Männer haben sich entschieden, anderswo zu übernachten.“

Sie biss auf einen ihrer Daumennägel, bevor sie antwortete. „Ich fand die aber nicht nett.“

Reyther rang sich ein Lachen ab. „Ich schätze, das waren sie nicht.“ Er wischte sich noch einmal die Augen. „Wo ist deine Mutter?“

„Im Hinterhof, bei den netten Frauen, die das Glitzermetall tragen“, sagte Lilsa.

Ihre Worte, mit absoluter Unschuld ausgesprochen, ließen ihn mitten im Gehen erstarren. Reyther fühlte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich.

Das war nicht möglich. Das konnte nicht sein.

Schnell kniete er sich hin und sah seiner Tochter ins Gesicht. Sie schrak vor seinem Gesichtsausdruck zurück, und er versuchte, wieder zu lächeln. „Was für nette Frauen, Lilsa?“ Sie wich vor ihm zurück. Vielleicht war sein Lächeln nicht besonders überzeugend gewesen. „Was für Frauen, Lilsa? Es ist wichtig“, wiederholte er.

Ihr Augen waren geweitet. „Zwei Frauen. Ich glaube, eine von ihnen hat sich wehgetan“, sagte Lilsa schließlich.

Reyther hob Lilsa sanft hoch und schritt durch den Lagerraum, wo er die Hintertür öffnete. Die sengende Wüstensonne stürmte gegen seine Sinne an, aber es gab keine Zweifel daran, was er vor sich sah. Drei Frauen saßen zusammen auf der langen Holzbank hinter dem Gasthaus.

Auf einer Seite saß Bea, die vorsichtig mit einem feuchten Tuch hantierte. Auf der anderen Seite saß ein junges Mädchen, das Reyther nie zuvor gesehen hatte. In der Mitte war ...

… sie.

„Was macht Ihr hier draußen?“ zischte Reyther panisch, als er seine Tochter absetzte.

„Sie ist verletzt, Reyther“, sagte Bea bestimmt. „Beruhige dich.“

„Das ist mir egal! Mein Gasthof wurde ihretwegen gerade überfallen!“ Reyther wandte sich gegen Anajinn, die den Kopf gesenkt hielt und langsam atmete. „Ihr habt Eure Feinde zu meinem Gasthaus geführt, Kreuzritter, und—“ Reyther verzog das Gesicht und verstummte. Der Lehm unter der Bank war nass. Blut tropfte unter ihrer Rüstung hervor. „Was ist passiert?“

Die jüngere Frau antwortete. Sie war etwa so alt, wie Anajinn – diese Anajinn – gewesen war, als Reyther sie zum ersten Mal getroffen hatte. „Wir hatten gestern etwas Ärger in der Wüste, und Anajinn hat vergessen, auszuweichen.“ Vorsichtig entfernte sie die Brustplatte des Kreuzritters. Reyther keuchte. Ein bösartiger, klaffender Riss zog sich von einer Seite ihres Unterleibs zur anderen. „Wunden von Dämonenklingen schließen sich nicht leicht.“

Reyther fühlte, wie seine Tochter sich an sein Bein klammerte. „Dämonen?“

Anajinn sprach mit undeutlicher Stimme. „Ihr müsst Euch nicht darum sorgen. Es hat sich erledigt.“

Die jüngere Frau schnaubte. „Fast hätte es dich erledigt. Ich muss noch einmal versuchen, dich zu heilen.“ Sie kniete sich vor Anajinn und öffnete ein dickes Buch, ein alter Band, der in uralter Schrift geschrieben war. Der Knappe zeigte auf eine Stelle einer Seite und zeigte sie Anajinn. „Soll ich hier anfangen?“

„Ja“, sagte Anajinn. „Finde deinen Fokus. Konzentriere dich. Benutze deinen Glauben.“

Reyther blickte verwirrt zwischen den beiden hin und her. „Ich verstehe das nicht. Was tut …“ Beas Hand durchschnitt die Luft. Er verstummte.

Der Kreuzritter sagte nichts mehr. Ihr Knappe begann zu sprechen und rezitierte ein altes Gesetz des Glaubens der Zakarum. Reyther runzelte die Stirn. Was sollte eine Predigt hier ausrichten? Dennoch musste er zugeben, dass die hoffnungsvollen Worte nicht unwillkommen waren. Der Tag erschien ihm plötzlich etwas heller, etwas wärmer. Einladender. Reyther hob voller Erstaunen den Blick. Es war, als würde das Licht auf sie alle herabscheinen.

Der Knappe beendete die Lesung und schloss das Buch. „Fertig“, sagte sie. Anajinn hob den Kopf und stand auf. Sie schwankte kurz auf den Füßen, schlug die dargebotene Hand ihres Knappen jedoch aus. Sie ließ die Schultern kreisen und streckte sich. Ihr Hemd war noch blutgetränkt, aber es gab kein Zeichen frischen Blutes.

„Gut gemacht“, sagte Anajinn. Der Knappe strahlte.

Reyther blinzelte. Die Wunde des Kreuzritters war verschwunden. Als hätte es sie nie gegeben. „Was ... gemacht ...?“ Er fasste sich. „Auch egal. Ihr müsst sofort gehen.“

„Reyther“, sagte Bea in warnendem Ton, doch er schüttelte den Kopf und fuhr fort.

„Ich habe eine Tochter, ich habe eine schwangere Frau und ich habe ein Gasthaus zu beschützen“, sagte er. „Da sind drei Paladine – hoffentlich nur drei! – in der Stadt, und sie wissen, dass Ihr in der Gegend seid. Lasst mein Gasthaus in Frieden. Bitte.“

Reyther hatte Streit erwartet. Er hatte Widerworte von Anajinn erwartet. Doch sie nickte einfach und schnallte sich müde die Brustplatte wieder um. „Es tut mir leid, dass sie Euch Ärger gemacht haben. Viele von ihnen hatten einst das Herz am rechten Fleck, aber in den letzten paar Wochen haben sie sich wirklich verloren.“ Ihr Knappe reichte ihr ein Schwert in seiner Scheide sowie ihren Streitflegel. Die Waffen hingen ganz natürlich an ihrer Rüstung, und schließlich ergriff Anajinn ihren Schild. „Nehmt Euch vor jedem in Acht, der aus Travincal stammt. Dort hat sich etwas Dramatisches zugetragen. Sie könnten labil sein.“

„Das weiß ich, Kreuzritter“, schnappte Reyther. „Einer von ihnen war einen Herzschlag davon entfernt, mir den Kopf abzureißen. Sie geben mir die Schuld für Eure Taten! Sie machen mich verantwortlich für den Tod des anderen Paladins.“

Anajinn hielt inne. „Tun sie das?“

„Ja!“ Reyther lehnte sich der Frau entgegen, und sein Gesicht lief vor Zorn und Scham rot an. „Ihr seid in mein Gasthaus gekommen. In kein anderes. In meins. Sie glauben, dass mich das schuldig macht. Sie haben mir gesagt, dass sie glauben, dass ich etwas verheimliche.“

„Wo sind sie jetzt?“ fragte Anajinn ruhig.

„Sie sind das Problem anderer Leute. Es hat sich angehört, als wollten sie den Rest von Caldeums Rast durchsuchen.“ Reyther zog sich zurück, zufrieden mit ihrem Gesichtsausdruck. „Also. Ihr habt mir genug Ärger gemacht. Ich möchte, dass Ihr mein Gasthaus verlasst. Sofort.“

Anajinn und ihr Knappe tauschten unergründliche Blicke, dann ließ der Kreuzritter die Kante ihres Schildes wieder zurück in den Sand gleiten. Sie schüttelte den Kopf. „Wir können nicht gehen.“

„Gut“, verkündete Bea. „Ihr braucht beide Ruhe, bevor Ihr irgendwohin geht.“

Reythers Mund öffnete sich ungläubig. „Bea!“

Sie starrte ihn herausfordernd an. „Wir haben genug Platz. Wir haben keine Gäste. Wir können ihnen ein paar Nächte lang Sicherheit bieten.“

„Die Paladine!“         

„Was soll mit ihnen sein? Sie sind weg“, sagte Bea. „Diese beiden sind aus dem Süden gekommen. Aus der Wüste, nicht von der Hauptstraße. Niemand hat sie gesehen. Wir werden Liegen in den zweiten Lagerraum stellen und ein paar Kisten Rüben und Dörrfleisch vor die Tür stellen. Wenn die Paladine zurückkommen, werden sie nicht merken, dass dort ein Raum ist. Du kannst sie sogar zu einer Durchsuchung einladen. Das haben wir auch gemacht, als letztes Jahr die Banditen aufgetaucht sind. Damals fandest du die Idee großartig.“

„Es gibt ein größeres Problem“, sagte Anajinn. Sowohl Bea als auch Reyther drehten sich zu ihr um. „Die Paladine werden zurückkommen, und ob sie uns sehen oder nicht wird keinen Unterschied machen.“

„Was? Warum?“ fragte Reyther.

„Sie geben Euch schon die Schuld.“ Anajinns Stimme war kalt. „Sie sind nicht bei Sinnen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie ihren Zorn, wenn ihre Durchsuchung der Stadt zu nichts führt, an Euch auslassen werden. Oder an anderen. Sie werden von Hass angetrieben, nicht von göttlicher Bestimmung. Ihr und Eure Familie seid in Gefahr, Gastwirt.“

„Euretwegen!“

„Ja“, sagte sie. „Und ich werde Euch und Eure Stadt nicht ihrer Gnade überlassen. Wenn Ihr nicht möchtet, dass ich Euer Gasthaus direkt schütze, werden mein Knappe und ich unser Lager in der Wüste aufschlagen, außer Sichtweite. Wenn wir hören oder spüren —“

„Ach, seid nicht absurd. Ihr werdet in einem unserer Lagerräume sicher sein“, sagte Bea. Sie unterbrach Reythers wütendes Stammeln mit einem scharfen Blick. „Das wird überhaupt kein Problem sein. Lasst mich kurz mit meinem Mann sprechen.“

Reyther ließ zu, dass sie ihn und Lilsa wieder nach drinnen führte, außer Hörweite des Kreuzrittes, bevor er in barsches Flüstern ausbrach. „Bist du des Wahnsinns, Bea? Diese Paladine werden uns töten!“

Bea wartete ab, bis er fertig war. „Lilsa, würdest du kurz nach oben in dein Zimmer gehen?“, bat sie. Das Mädchen verschwand die Treppe hinauf. Bea wandte sich Reyther zu, die Stimme voller Verachtung. „Das ist also, was deine Tochter sehen soll? Wie ihr Vater zwei Menschen – eine davon verwundet! – in die Wüste schickt, weil er Angst davor hat, was drei Fremde denken könnten?“

„Das ist völlig ungerecht“, sagte Reyther. „Anajinn hat uns den Tod gebracht, und egal, wie sehr diese Männer sie hassen – sie würden uns niemals töten, nur weil sie hier vor sechs oder sieben Jahren übernachtet hat. Nicht, bis sie sie tatsächlich hier finden. Denke an Lilsa. Denke an das Kind, das unterwegs ist.“ Reyther legte sanft eine Hand auf Beas gerundeten Bauch. „Anajinn muss unseren Kindern zuliebe gehen. Sofort. Sei vernünftig.“

Bea sah auf seine Hand herab, dann hob sie ihren Blick und sah Reyther in die Augen. „Du bist also eher bereit diesen Paladinen Glauben zu schenken als Anajinn?“

„Wie gesagt – ich bin sicher, dass Anajinn nur übertreibt“, sagte Reyther.

Sie zog seine Hand von ihrem Bauch. „Diese Männer haben gedroht, dich zu töten. Sie dagegen war nur gütig und ehrlich.“ Ihre Augen verengten sich. „Ich weiß nicht, warum du sie so schlecht leiden kannst, aber ich glaube ihr. Wenn die Paladine uns noch Schaden zufügen können, brauchen wir sie hier. Um unsere Kinder zu schützen. Wie vernünftig ist das?“ Sie wandte sich um, aber nicht ohne eine letzte Salve abzufeuern. „Was auch immer dein Vater für Schwächen hatte, er war kein Feigling. Er würde sich jetzt gerade für dich schämen.“ Sie trat nach draußen, um mit den anderen Frauen zu sprechen.

Reyther war übel. Sie versteht es nicht. Sie wird uns alle umbringen. Draußen konnte er das Scheppern von Rüstung hören; der Kreuzritter bereitete sich darauf vor, einzutreten. Er floh in den Schankraum. Er wollte sie nicht sehen. Er musste nachdenken.

Mein Vater würde sich schämen? Reyther verzog das Gesicht. Sein Vater hatte tatsächlich einst eine Schwäche für Wohltätigkeit gehabt, die Reyther nie geteilt hatte, doch mehr als alles andere war er ein praktischer Mann gewesen. Ein vernünftiger Mann.

Reyther musste sich jedoch eingestehen, dass Bea in einem Punkt Recht hatte: die Paladine könnten zurückkommen. Er schauderte.

Vielleicht, nur vielleicht, würden sich Anajinn und ihr Knappe den Paladinen entgegenstellen können. Er hatte gesehen, was sie vor all den Jahren diesem anderen Paladin angetan hatte. Reyther hatte es zwar nicht verstanden, aber gesehen hatte er es.

Aber an diesem Tag war sie gesund gewesen, erinnerte er sich. Ausgeruht. Selbstsicher. Heute war das anders. Vor Minuten war sie dem Tode nahe gewesen. Egal, wie mächtig ihr Knappe war oder wie effektiv sie gemeinsam kämpften ...

Sie kann sie nicht besiegen, beschloss Reyther. Nur ein Paladin würde überleben müssen, und seine Familie trüge die Konsequenzen.

Teilt es uns ohne Zögern mit, hatte der Paladin Cennis ihm gesagt.

Reyther stand auf. Das war der Ausweg, erkannte er, und spürte seine Hoffnung steigen. Die Paladine wären vielleicht unvernünftig, bis sie Anajinn gefunden hätten, aber wenn sie sie erst fänden, würden sie sich zweifellos beruhigen. Und wenn Reyther derjenige wäre, der sie zu ihr führte, würden sie wissen, dass er es damit ernst gemeint hatte, ihr nicht helfen zu wollen. Sie würden ihn vermutlich sogar für seine Offenheit loben.

Aber Anajinn … sie und ihr Knappe würden sterben. Besser sie als meine Familie, sagte er sich mit Nachdruck. Leise schlich er sich aus dem Gasthaus.

Caldeums Rast war kein großer Ort. Reyther war sicher, dass er sie finden könnte. Er schritt nach Westen. Teilt es uns ohne Zögern mit. Seine ruhigen Schritte wurden hastiger. Dann begann er zu laufen.

Schon bald rannte er.

***

Das Hämmern des Schmieds auf seinen Amboss wurde nicht langsamer. „Ich verstehe, mein Herr.“ Funken stoben, wann immer sein Hammer auftraf. „Wenn eine Frau in seltsamer Rüstung hereinkommt —“

„Wenn irgendeine Frau hereinkommt“, schnappte Cennis. „Die Ketzerin könnte versuchen, sich zu verkleiden. Sie würde versuchen, Euch zu täuschen und in die Sünde zu führen.“

„Jawohl, mein Herr“, sagte der Schmied. „Wenn irgendeine Frau hereinkommt, soll ich zu Euch oder einem Eurer Brüder kommen.“ Er griff den dünnen Streifen rot glühenden Metalls mit der Zange und betrachtete ihn eingehend. Mit einem Knurren legte er ihn wieder auf den Amboss und fing wieder an, die Kanten zu bearbeiten. „Kann ich Euch mit noch etwas dienen, mein Herr?“

Cennis' Finger zuckten. „Seht mich an, wenn ich mit Euch spreche, Schmied“, sagte er leise.

„Natürlich“, sagte der Schmied. Er warf dem Paladin einen oberflächlichen Blick zu und ging wieder an die Arbeit. „Was immer Ihr sagt, mein Herr.“

Die Stimme des Mannes zeigte nicht das geringste Anzeichen für Spott, und dennoch fühlte Cennis, wie der Zorn in ihm hochbrodelte. Er trat näher an den Schmied heran. „Lenke ich Euch ab? Halte ich Euch von Eurer wichtigen Arbeit ab?“

„Nein, mein Herr, ich höre Euch zu“, sagte er. Er sah Cennis erneut in die Augen und blinzelte, als er zum ersten Mal etwas Gefährliches in ihnen sah. Mit einem tiefen Seufzer warf er den Stahl achtlos in das nächste Löschfass. Dampf stieg mit einem wütenden Zischen auf. „Ich bitte um Verzeihung. Was wünscht Ihr noch zu wissen, mein Herr?“

„Was stellt Ihr da her?“ fragte der Paladin beiläufig.

„Einen Fassschaber“, sagte er. „Der Gastwirt die Straße hinunter braucht einen.“

„Der Besitzer des Oasengasthofs?“

„Genau der.“

Cennis nickte ruhig. „Ich verstehe.“ Das tat er wirklich. Er verstand mehr, als dieser Narr je vermuten würde. Diese ganze Stadt steckt unter einer Decke. Sie leben gemeinsam in Sünde. Sie verdienten es, gemeinsam bestraft zu werden.

Ihm kam ein wunderbarer Gedanke. Er blickte sich um; seine Mitpaladine waren anderswo und befragten andere. Gut. „Und wenn Ihr die Ketzerin bereits gesehen hättet, dann würdet Ihr es mir sagen, nicht wahr?“

„Natürlich, mein Herr“, sagte der Schmied.

„Ich glaube Euch nicht.“

Der Schmied runzelte die Stirn. Cennis hob beiläufig seine rechte Hand, als betrachte er seinen Handschuh. Er ließ die Finger spielen und lehnte sich über den Amboss. Instinktiv machte der Schmied einen Schritt zurück. Angst vor einem Diener des Glaubens? Was habt Ihr zu verbergen?

„Ich möchte Euch zeigen, wie ernst ich es meine“, sagte Cennis. Er ballte die Faust, und das Licht erfüllte ihn. Eine leuchtende Form nahm zwischen den beiden Männern Gestalt an. „Ich bin sicher, dass Eure Fassschaber exzellent sind. Wie gut kennt Ihr Euch mit Hämmern aus?“

Der Schmied stolperte rückwärts. Selbst seine sündigen Augen würden den Hammer aus reinem Licht nicht falsch verstehen können, der in der Luft hing. Seltsamerweise huschte der Blick des Mannes im Raum herum. Cennis folgte dem Blick, doch er konnte nichts Interessantes entdecken. Vielleicht waren die Schatten etwas seltsam. Cennis erinnerte sich an die Zeit, als ein gesegneter Lichthammer alle Schatten bannen konnte. Es fühlte sich an, als sei das lange her. Ein Leben lang. Als er ein Junge war.

Cennis hielt eine Hand an seine Stirn und verzog das Gesicht. Sein Kopf schmerzte. Der Hammer flackerte und verschwand dann. Der Gedanke an seine Kindheit löste Schmerzen aus und unterbrach seine Konzentration. Er zog eine Grimasse und verscheuchte den Gedanken. Ein Leben lang her. Jetzt irrelevant. Der Hammer erschien wieder.

„Mein Herr.“ Die Stimme des Schmieds zitterte. „Ich —“

Cennis schwang den Hammer. Der Amboss explodierte von ihm weg. Der Schmied umklammerte seinen Torso und fiel schreiend zu Boden, ein Stück Metall in seinen Eingeweiden.

„Pardon, mein Herr“, sagte Cennis. „Was wolltet Ihr sagen?“ Der Gesichtsausdruck des anderen Mannes war köstlich. Völlige Hilflosigkeit. Absolute Angst. Cennis hielt den leuchtenden Hammer nur einige Fingerbreit vor dem Schmied. „Warum sagt Ihr mir nicht, was Ihr wirklich über die Ketzerin wisst?“

Der Schmied bettelte. Er schluchzte. Er schwor, nichts zu wissen. Er flehte um Akarats Gnade. Dafür ist es ein wenig zu spät. Welch verlorene Kreatur würde weiterhin lügen? Was hatte er mit eigenen Augen gesehen, das er sich zu sagen weigerte? Cennis zögerte. Vielleicht waren härtere Methoden vonnöten. Er näherte ihn, nur ein wenig, auf das Gesicht des Schmieds zu, und ...

Die Schreie des anderen Mannes verstummten. In seinen weit aufgerissenen Augen spiegelte sich das Licht des Hammers auf interessante Weise. Auf reine Weise. Ungetrübt von Iris oder Pupille.

Dann schlich sich das Rot ein und ruinierte die reinweißen Kugeln. Es sammelte sich unter den Lidern des Mannes. Cennis sah fasziniert zu. Ein doppeltes Ploppen, überraschend laut, ließ purpurfarbene Ströme seine Wangen herunterlaufen, in die sich winzige Rinnsale einer weißen Flüssigkeit mischten. Dennoch schrie der Mann nicht. Seine Zunge war aus schierem Schrecken gelähmt.

Cennis wurde abrupt klar, was er getan hatte. Dieser Mann würde stundenlang keine Fragen beantworten können, vielleicht sogar tagelang, scholt er sich selbst. Verschwendung. Kopfschüttelnd griff der Paladin mit dem Licht nach der Zunge des Schmieds und entfernte sie mit einem schnellen Ruck. Er musste nicht einmal seine Hände benutzen. Das rosarote Fleisch plumpste auf den sandigen Boden, und endlich schrie der Schmied – ein gequältes, wortloses Geräusch. Cennis ließ ihn gewähren. Es war eine gute Idee. Der Kreuzritter war in der Nähe, dessen war er sich sicher. Aber wo würde sie Obdach finden können, wenn die gesamte Stadt nur von Blinden und Stummen bevölkert wäre? Sie verdienten nicht weniger dafür, dass sie vor Jahren einer Ketzerin Obdach gewährt hatten. Ja, beschloss er, er würde von Tür zu Tür gehen —

„Akarat schütze uns.“ Ein atemloses Flüstern am Eingang der Schmiede. Cennis drehte sich ruhig um. Der Gastwirt. Dieser Gastwirt. Er starrte den Schmied an, der weiter schrie.

„Akarat kann Euch nicht schützen“, sagte Cennis dem Gastwirt. „Das kann niemand.“

„Ich …“ Der Blick des Gastwirts zuckte zwischen Cennis und den Überresten des Schmieds hin und her. „Ich bin gekommen, um Euch zu sagen ... wie Ihr befohlen habt ... ohne Zögern ...“

„Oh, das bezweifle ich“, sagte Cennis traurig. Er krümmte den Finger, und eine glänzende Schlinge aus Licht umschlang die Kehle des Gastwirts. Der Paladin schnürte sie fest zu, sehr fest. Der Gastwirt begann zu ersticken. „Die Frau ist zurückgekommen, nicht wahr? Und Ihr habt damit gewartet, es mir zu sagen. Ich kenne Eure Sorte. Ihr habt gewartet.“ Wieder krümmte er den Finger, und wieder. Weitere Lichtschlingen schnürten sich zusammen und fesselten die Handgelenke des Gastwirts aneinander und schnürten seine Ellenbogen zusammen. Das Keuchen wurde zu geflüsterten Schreien.“

Cennis trat nach draußen und schleifte den Gastwirt mit sich. „Brüder!“, rief er. „Brüder, der Sünder ist hier!“ Nach kurzem Nachdenken erhob er erneut die Hände und ließ Funken über das Dach der Schmiede regnen. Sofort stieg Rauch auf und winzige Flammen verbanden sich zu großen Flammendecken. Er nickte zufrieden. Seine Paladinbrüder schreckten manchmal davor zurück, das Böse so ... entschieden ... zu bekämpfen, wie Cennis es vorzog, also würde er ihr Gewissen vor der Kenntnis dieses Vorfalls bewahren. Feuer war ein wunderbares Mittel, um ungelöste Fragen zu klären.

Der Gastwirt presste einzelne Wörter durch seine zugeschnürte Kehle. „Familie ... Gnade ...“

„Ganz ruhig“, sagte Cennis.

***

„Schatz, fass den Schild der netten Dame nicht an“, sagte Bea sanft und hob Lilsa auf ihre Arme. Während sie ihrer Tochter den Rücken streichelte, sah sie mit gerunzelter Stirn auf Anajinn hinab. „Ihr wollt doch wohl nicht in dieser Rüstung schlafen, oder?“

Der Kreuzritter hob den Kopf vom Bett und lächelte. „Sieht albern aus, oder?“ Mit einem tiefen Seufzer legte sie sich wieder hin. Ihr Knappe saß auf einem Hocker am Fuß des Bettes und goss Tee in drei Tassen. Anajinn verlagerte das Gewicht, und die Rüstung klimperte leise.

Es sah in der Tat albern aus. Bea unterdrückte ein Grinsen. „Ich bin sicher, dass Ihr besser schlafen werdet, wenn Ihr sie ablegt“, sagte sie. Lilsa kicherte ihr ins Ohr. „Seht Ihr? Meine Tochter findet das auch.“

„Wahrscheinlich hat sie recht“, sagte Anajinn. Ihr Lächeln sah ehrlich aus, aber die Müdigkeit ließ ihre Augen zusammengekniffen erscheinen. Bea hatte den Verdacht, dass sie heute nicht zum ersten Mal in letzter Zeit dem Tode nahe gewesen war. „Aber wenn diese Herrschaften zurückkehren, könnte ich schnell handeln müssen.“

Bea verstummte. Lilsa sah fasziniert dem Spiel des Lampenlichts auf der Rüstung zu. „Ich kann nicht glauben, dass sie uns wirklich Böses wollen. Ernsthaft Böses.“ Aber die Worte, die der Paladin zu Reyther gesprochen hatte, waren durch die Wände des Gasthauses gedrungen. Sie hatte ihre Wut gehört. Konnte sie wirklich wissen, wozu sie fähig waren? „Ich bin hier aufgewachsen. Ich habe alle möglichen Leute kommen und gehen sehen. Paladine waren keine Seltenheit. Sie schienen immer so nett zu sein, als ich klein war. In den letzten Jahren scheinen sie ...“ Sie zögerte. „Wisst Ihr, was passiert ist? Warum sind sie so verstört?“

Der Knappe warf Anajinn einen fragenden Blick zu. Anajinn schwieg für einen Moment. „Ihre Finsternis ist an die Oberfläche gedrungen. Diese Finsternis treibt meinen Kreuzzug an“, sagte sie.

„Ihr hasst Paladine?“, sagte Bea.

„Ganz und gar nicht“, sagte Anajinn. „Unser Glaube wird durch dieselben Wurzeln geeint. Ich sehe sie als Brüder und Schwestern. Verloren, aber doch Familie.“ Der Knappe reichte ihr eine Tasse Tee. Sie nippte daran, bevor sie fortfuhr. „Vor Jahrhunderten bemerkte ein sehr weiser Mann, dass der Kern des Glaubens der Zakarum verderbt worden war. Infiziert. Es war fast unmerklich, doch Elemente des Bösen hatten sich tief in unsere Grundfesten geschlichen. Den Nachrichten aus Travincal nach zu urteilen schleicht dieses Böse nicht mehr sondern ist in den letzten Jahren geradezu umhergesprungen und hat offen gebrüllt. Es ist wortwörtlich zur Heimstatt des Hasses geworden. Wer auch immer diesen Ort zerstört hat, hat der Welt einen Gefallen getan.“

Travincal war zerstört worden? Bea verlagerte unbehaglich ihr Gewicht. Diese Neuigkeiten hatte sie nicht gehört – nur, dass dort etwas Entsetzliches geschehen war.

„Es gibt gute Leute in ihrem Orden. Aber diejenigen, die dem Bösen zustreben, haben die Rechtschaffenen überwältigt, fürchte ich“, sagte Anajinn. „Die Zerstörung ihrer Heimstätte könnte die anderen aus dem Gleichgewicht werfen.“

Bea nahm eine Tasse Tee von dem Knappen entgegen. Ihre Hand zitterte nur leicht. „Und Euer Kreuzzug dient dazu, sie auszurotten?“

Anajinn schüttelte den Kopf. „Mein Kreuzzug dient dazu, das Böse auszurotten, das sie verderbt. Etwas zu finden, das den Glauben reinigen könnte. Vor ein paar Tagen dachte ich noch, es wäre da draußen in der Wüste ...“ Ein müdes Lächeln. „Irgendetwas haben wir ganz sicher gereinigt. Der Glaube war es nicht.“

„Meinen Darm vielleicht“, murmelte der Knappe.

Bea war von der groben Sprache schockiert, doch der Kreuzritter lachte nur. „Ein paar Dämonen aus den Schatten springen zu sehen ist für diese Sorte Reinigung ganz fantastisch. Wir haben uns um ihre Feste gekümmert, und das ist nie Zeitverschwendung. Ich bereue den Abstecher nicht.“ Anajinn runzelte die Stirn, als wäre ihr soeben etwas Unangenehmes aufgefallen. „Wo ist Euer Mann, Bea?“

„Er schmollt vermutlich oben in seinem Arbeitszimmer“, sagte Bea in schelmischem Flüsterton. „Das macht er immer, wenn er sich nicht durchsetzen kann.“

Anajinn erwiderte das Lächeln nicht. „Ich habe oben keine Schritte gehört. Oder sonst wo in diesem Gasthaus. Könntet Ihr ihn bitte finden?“

„Ich glaube schon“, sagte Bea. Mit Lilsa in den Armen trat sie aus dem kleinen Raum. „Reyther?“ rief sie.

Lilsa stimmte ein. „Vaaaaaater!“

Keine Antwort. Seltsam. Bea schlenderte in den Schankraum und rief erneut Reythers Namen. Schweigen. „Was glaubst du, wo dein Vater ist?“ fragte sie Lilsa leise. Das Mädchen zuckte mit den Schultern. Bea ging zurück in den Raum des Kreuzritters. „Ich vermute, er ist für eine Weile weggegangen. Anajinn, warum —“

Der Kreuzritter war bereits aufgestanden. Sie ergriff ihren Schild und ihren Streitflegel. Ihr Knappe zog ein kurzes Schwert aus seiner Scheide.

„Ich fürchte“, sagte Anajinn, „Euer Mann hat einen schrecklichen Fehler begangen.“

Das Ende ihrer Reise

Kreuzritter

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